Ivan Ergic im Interview: «Es war logisch, dass ich mich in Basel einbürgern lasse»

Dieser Artikel wurde von BAZ publiziert.

«Es war logisch, dass ich mich in Basel einbürgern lasse»

Die Theatergeste hatte er schon früh drauf: Ivan Ergic bedankt sich 2011 bei den Fans des FC Basel.
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In Kürze:

  • Ivan Ergic über die Verbindungen von Politik und Sport in Serbien.
  • Er sagt über den FC Basel: «Er wurde zu meinem Schicksalsclub.»
  • Einige Nationalspieler Serbiens agieren seiner Meinung nach auf dem Feld aggressiv, um den Fans zu gefallen.

Es sind gerade aufregende Zeiten für Ivan Ergic. In Zagreb ist sein erstes Theaterstück angelaufen, das von einem jungen Fussballer handelt. In Basel hat der einstige FCB-Spieler seinen Einbürgerungstest bestanden. Wenn Serbien am Samstag die Schweiz empfängt, ist das für den 43-Jährigen also neuerdings ein Spiel zwischen zwei Heimatländern. Ergic ist einst selber für Serbiens Nationalteam aufgelaufen. Ein Gespräch über Fussball, korrupte Politiker und Theater.

Wenn die Schweiz in Serbien antritt, schlagen da bereits die berüchtigten zwei Herzen in Ihrer Brust?

Ich versuche immer nüchtern und rational zu bleiben, wenn die Schweiz gegen Serbien spielt. Genauso, wenn Serbien gegen Nationalteams aus Ex-Jugoslawien antritt. Bei solchen Spielen ist es wichtiger, die Emotionen zu dämpfen, als sie zusätzlich zu schüren. Ich hoffe bei diesen Matches immer, dass alles ohne allzu viel Politik, Animosität und Hässliches abläuft.

Den EM-Viertelfinal gegen England haben sie immerhin im Schweizer Leibchen geschaut.

Da habe ich per Zufall ein Trikot der Schweizer Nationalmannschaft in meiner Sammlung gefunden. Ich glaube, das war von damals, als ich mit Jugoslawien in der U-21 gegen die Schweiz gespielt habe. Da habe ich es getauscht. Aber natürlich schaue ich gerne zu, wenn die Schweiz spielt. Nicht nur wegen der Spieler des FC Basel, von denen einige meine Freunde sind. Umso unglücklicher fand ich die ganze Geschichte mit dem Adler an der WM 2018. Es gibt rund 200’000 Schweizer mit serbischer Herkunft. Und ich bin überzeugt, dass viele von ihnen die Schweiz als ihre Nationalmannschaft erleben.

Sie haben sich eben in Basel einbürgern lassen. Warum war Ihnen das wichtig?

Es macht nach 24 Jahren und mit all den Erfahrungen, die ich in Basel und der Schweiz gemacht habe, einfach Sinn. Ich muss meine Verbundenheit nicht erklären. Ich denke, die ist klar ersichtlich. Es ist wirklich eine Seltenheit, dass ein Spieler so lange in einem Club bleibt – und dass er sich mit diesem Club auch identifizieren kann. Der FC Basel ist mein Schicksalsclub geworden. Und damit Basel und die Region logischerweise zu meiner Heimat. Ich habe einmal den Spruch gehört: «Basler muss man sein, Schweizer kann man werden.» Ich bin der festen Überzeugung, dass man auch Basler werden kann.

2018 und 2022 waren die WM-Spiele zwischen der Schweiz und Serbien emotional aufgeladen, weil auf Schweizer Seite Spieler mit albanischen Wurzeln antraten. Zeitweise sah es aus, als werde der Kosovo-Konflikt auf dem Fussballplatz ausgetragen. Derzeit steigen die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien wieder. Wird das auf dem Feld zu sehen sein?

Man darf nicht vergessen, dass Kosovo noch immer eine offene Frage ist. Die Spannungen werden von Politikern auf beiden Seiten provoziert. Das kommt zyklisch. Politik und Medien agieren nach den gerade aktuellen politischen Bedürfnissen. Sehr oft ist es reiner Populismus, und der Sport bietet die ideale Bühne. Aber wir dürfen das alles nicht auf eine angeblich ewige Feindschaft reduzieren, wenn wir das grosse Ganze anschauen. Der Balkan ist nicht einfach zu verstehen. Man muss die ganze geschichtliche Entwicklung kennen, um die sehr komplexen zwischenethnischen und geopolitischen Zusammenhänge zu begreifen.

Der Theatermann: Ivan Ergic bei den Proben in Zagreb.

Fussball und Politik scheinen in Serbien viel enger verwoben als in der Schweiz. Warum ist das so?

Das gilt nicht nur für Serbien, sondern für alle wirtschaftlich weniger entwickelten Länder. Schauen Sie nach Südamerika oder andere Gebiete in Südeuropa. Wir könnten das auf die Maxime «Brot und Spiele» reduzieren. Es geht hier um Politik im breiteren Sinne, also um Gesellschaftspolitik. Wenn das Nationalteam spielt, geht es um die Nation und um den Nationalstolz. Erfolge im Sport können vieles kompensieren und eine falsche Vorstellung der Stärke des eigenen Landes schaffen. Das ist für korrupte Politiker natürlich ideal, weil sie ihren Bürgern sonst wenig zu bieten haben.

Der Sport also als Ersatz für wirtschaftlichen Aufschwung einer Nation?

Länder, die zu sehr auf Sport setzen, ähneln mehr einer folkloristischen Gemeinschaft als einer Nation. Ein Land braucht eine politische Führung, die die geopolitischen Realitäten versteht und Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur stärkt. Ich finde es sehr schade, weil die Länder auf dem Balkan viel Potenzial haben. Wir sind nicht zurückgeblieben, wie man das manchmal darstellen will. Schauen Sie, wie viele tolle Künstler wir auch neben Goran Bregovic und Emir Kusturica haben, wie viele begabte Wissenschaftler auf Nikola Tesla gefolgt sind. Wir sind vielleicht einfach politisch ein bisschen weniger talentiert.

Sie kennen aus eigener Erfahrung die Erwartungen, die an serbische Nationalspieler gestellt werden.

Die Erwartungen sind in jedem Land gross. Bei uns in Ex-Jugoslawien sind sie aus den erwähnten Gründen noch etwas grösser. Es kommt ja noch dazu, dass sich seit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens jede Nation in einem Wiederaufbau befindet. Nicht nur wirtschaftlich und kulturell, sondern auch von der Identität her. Alle wollen sich auf internationaler Ebene präsentieren und behaupten. Als Spieler bekommt man das schon zu spüren. Auch wenn die Frage ist, ob die Spieler überhaupt noch in derselben Realität leben wie ihre Landsleute. Und ob sich Spieler und Bevölkerung überhaupt noch miteinander identifizieren können.

Warum haben Sie sich damals eigentlich für Serbien und Montenegro entschieden?

Für mich war das ein Herzensentscheid. Auch wenn ich manchmal so rüberkomme, bin ich keinesfalls ohne Nationalgefühl. Damals musste ich mich zwischen Australien und Serbien entscheiden. Ich hätte im australischen Team sicher eine bessere Karriere gemacht. Aber ich fand, dass ich etwas für den Wiederaufbau beitragen müsse nach all dem, was Jugoslawien durchgemacht hat. Vielleicht war das auch ein etwas zu romantischer Gedanke.

Im Einsatz für Serbien und Montenegro: Ivan Ergic setzt sich gegen den Argentinier Javier Mascherano durch.

2022 zeigten sich Schweizer Spieler überrascht von der Reaktion der Serben nach Schlusspfiff. Eben war man sich noch an die Gurgel gegangen – und dann war die Aggressivität wie weggeblasen.

Alles andere wäre ja paradox: Wir kennen uns aus unseren Ligen, sind teilweise Teamkollegen. Die Aggressionen kommen von der angesprochenen Erwartungshaltung. Es gibt Spieler, die ihre Rolle als sogenannte Nationalhelden verinnerlichen, andere werden von der Stimmung mitgerissen. Ausserdem entwickeln Spieler mit der Zeit einen Überlebensinstinkt. Sie sind sich bewusst, dass diese kriegerische Attitüde bei den Fans sehr gut ankommt, und passen sich an. Es ist fast wie ein Alibi gegenüber dem Anhang. Aber ich glaube, dass die Spieler langsam genug davon haben. Unser Captain Dusan Tadic hat mich in dieser Hinsicht das letzte Mal positiv überrascht.

Sind der latente Nationalismus und der Lokalpatriotismus Gründe, weswegen Sie sich nach Ihrer Karriere fast ganz vom Fussball verabschiedet haben?

Es ist bekannt, dass ich mit einem gewissen Teil der Fussballwelt immer Mühe gehabt habe. Ich habe den Fussball sehr genossen, aber gegen Ende immer weniger. Ich habe sehr früh aufgehört, weil ich es unfair für Fans und Mitspieler fand, mich einfach mitzuschleppen. Ausserdem habe ich für mich selbst ganz neue Räume eröffnet. Es ist die Vielfalt seiner geistigen Bedürfnisse, die einen Menschen ausmacht. Ein ganzes Leben im Fussball wäre eine zu grosse Einschränkung – egal, wie sehr ich ihn liebe. Auch wenn ich mir bewusst bin, dass er mir die individuelle und materielle Unabhängigkeit ermöglicht hat.

Ganz loslassen konnten Sie nicht. Sie haben ein Theaterstück über einen jungen Fussballer geschrieben, das im September in Zagreb uraufgeführt worden ist.

Ich hatte schon lange die Idee, dass ich eine Komödie oder eine Satire schreiben möchte. Aber ich bin mit meinem Co-Autor schnell zum Schluss gekommen, dass es eine realistische «Dramedy» werden muss, eine Mischung aus Komödie und Drama. Ich habe schon ein paar Stücke geschrieben. Aber für mein erstes habe ich bewusst etwas ausgewählt, das ich gut kenne.

Dann ist es also von Ihren eigenen Erfahrungen geprägt?

Es gibt sicher Stoff, der sich an meine Karriere anlehnt. Aber auch Erlebnisse anderer Kollegen und aus dem Fussball allgemein. Was interessant ist: Ich kann als Serbe problemlos ein Stück für ein kroatisches Theater schreiben, ohne eine Seite wählen zu müssen. Sie könnten als Journalist gleichzeitig für deutsche, türkische und schweizerische Zeitungen schreiben. Nur im Fussball muss man sich für eine Nation entscheiden. Das ist für mich eine seiner Ähnlichkeiten mit dem Krieg.

Wo sind die grösseren Diven zu Hause: auf dem Fussballfeld oder im Theater?

(lacht) Jede populäre Industrie hat ihre Diven. In Ex-Jugoslawien hatten wir immer gutes Theater und eine starke Filmindustrie, die Schauspieler haben immer Kultstatus genossen. Einige sind eitel und schwierig, aber meine Erfahrung mit dem ZKM Zagreb Ansambel ist sehr positiv. Unser Stück ist sehr intensiv, vor allem die Sportchoreografien, und es dauert zweieinhalb Stunden. Das heisst, die Proben waren für das Ensemble hartes Training.

Und wie kommt das Stück an?

Nach vier Aufführungen in Zagreb darf ich sagen: Das Publikum ist begeistert.