
FCB-Goalie im Interview: Marwin Hitz: «Ich kämpfe ständig gegen mich selbst»
Dieser Artikel wurde von BAZ publiziert.
Marwin Hitz: «Ich kämpfe ständig gegen mich selbst»
Der 37-Jährige gibt Einblicke in seine Torhüterpsyche und den aktuellen Zustand des FCB, um schliesslich über die eigene Immobilienfirma und die Zukunft zu reden.

Marwin Hitz (37) ist seit Sommer 2022 der erste Torhüter des FC Basel.
Foto: Jean-Christophe Bott (Keystone)
Marwin Hitz, müssen wir noch über das 0:1 in Luzern vom Sonntag reden?
Die Entscheidung überlasse ich gerne Ihnen, ob sie dazu noch etwas wissen wollen.
Da war ein Sonntagnachmittag, an dem Sie insgesamt eine starke Leistung zeigten. Sie hielten die Mannschaft mit Ihren Paraden im Spiel, Sie kamen auf tolle Statistiken. Doch es gibt die eine Ausnahme, mit dem Gegentreffer, bei dem Sie eine Mitschuld tragen. Oder sehen Sie das anders?
Komplett unschuldig ist man als Torhüter ganz, ganz selten. Aber ja: Ich stimme Ihnen zu.
Was ist schiefgelaufen?
Wir sind da unter Druck, haben mehrere aufeinanderfolgende Standards gegen uns. Ich will uns Luft verschaffen, indem ich auf die nächste Cornerflanke rauskomme, um diese runterzupflücken. Aber mein erster Schritt ist suboptimal. Und dann sieht das nicht gut aus.
Warum geht der Schritt nicht in die richtige Richtung, etwas weiter seitlich, sodass Sie nicht zu weit vorne stehen, um den Ball zu erreichen – ist das Müdigkeit in einer Druckphase, die man verspürt?
Nein. Eigentlich helfen dem Goalie Druckphasen insofern, als dass er voll im Spiel ist. Ich denke, es lag daran, dass der Corner davor auf den nahen Pfosten kam. Ich spekulierte ein bisschen darauf, dass das wieder ähnlich kommt, und schreite geradeaus vom Tor weg.
Das sind bittere Momente für einen Torhüter. Sie sind seit September 37. Nimmt man so etwas mit dem fortschreitenden Alter und der grösser werdenden Erfahrung leichter?
Nicht unbedingt. Grundsätzlich ist es so, dass man als Goalie früh in einer Karriere lernen muss, dass das dazugehört. So, dass man es noch im Spiel abhaken kann. Wer das nicht kann, ist sicher nicht bis 37 Goalie auf diesem Niveau, sondern hört viel früher auf. Aber was man mit der Zeit lernt, ist, eine derartige Szene zu relativieren, sie nicht nur als schlecht zu bewerten.
Was heisst das in dem konkreten Fall?
Ich habe mich entschieden, rauszukommen, um die Flanke abzufangen. Diese Entscheidung empfinde ich noch immer als richtig. Die Ausführung war dann leider suboptimal. Aber mir ist es lieber, so ein Gegentor zu erhalten, als dass ich auf der Linie kleben geblieben wäre und es dann vielleicht auch nicht verhindert hätte.

Beim 0:1 des FC Luzern durch Luca Jaquez ist FCB-Goalie Marwin Hitz nicht ganz unschuldig.
Foto: Philipp Schmidli (Keystone)
Sie scheinen sehr reflektiert …
Ich mache mir über diese Dinge wirklich sehr viele Gedanken. Es gibt wenige Spiele, in denen ich von A bis Z keine Verbesserungsmöglichkeiten finde. Und es hat einige Partien, für die ich danach gelobt wurde, aber ich mit mir selbst wegen Details, die keiner wahrgenommen hat, hart ins Gericht gegangen bin. Das war schon immer so, das bin ich. Ob im oder nach dem Spiel: Ich kämpfe ständig gegen mich selbst, wenn es um meine Leistung geht. Wohl manchmal auch zu sehr, denn eigentlich wäre ich mir selbst gegenüber gerne etwas weniger streng.
Ist diese intensive, ständige strenge Auseinandersetzung mit der eigenen Leistung auch der Grund, warum Sie bei kritischen Journalistenfragen nach Gegentoren zuweilen irritiert wirken und streng antworten?
Ich denke, das ist nur der Fall, wenn ich die Frage selbst als falsch oder plump gestellt empfinde. Dass meine Reaktion dann selbst etwas plump ausfällt, dürfte aber auch daran liegen, dass da wenige Minuten nach einer Partie noch immer sehr viele Emotionen sind, es in mir arbeitet.
Haben Sie entsprechende Antworten auch schon bereut?
Ich hinterfrage ganz verschiedene Dinge am Ende eines Tages, bevor ich einschlafe. Berufliches und Privates. Und wie wohl jeder Mensch, so finde auch ich immer wieder Situationen, in denen ich es anders oder besser hätte machen können. Und ja: Darunter waren auch schon mal gewisse Interviewantworten meinerseits.
Macht es mit 37 mehr Spass, Torhüter zu sein, als mit 20?
Den Spassfaktor kann ich nicht vergleichen. Aber ich weiss, dass es mit 37 definitiv nicht gleich ist wie mit 20. Zum einen ist es arbeitsintensiver geworden, zum anderen hat sich die Motivation verändert.
Können Sie das ausführen?
Je älter du wirst, desto mehr musst du auf dich achten und an dir arbeiten, um auf deinem bestmöglichen Level zu bleiben. Hinzu kommt eine mentale Komponente: Im Verlauf der Karriere kommst du in Situationen, in denen die Versuchung gross ist, es sich in seiner Komfortzone bequem zu machen.
Haben Sie widerstanden?
Ich denke schon. Ich hatte diese Vorahnung ein erstes Mal beim FC Augsburg, als ich die unumstrittene Nummer 1 geworden war, von allen anerkannt und den Fans geliebt wurde. Anstatt meinen Vertrag vorzeitig zu verlängern, wechselte ich damals zu Borussia Dortmund, um mich in einem grösseren Club zu beweisen, bei dem ich nur als Nummer 2 kam. Und dort wiederum merkte ich irgendwann, dass diese Rolle mich auch bequem werden lassen könnte. Deshalb wählte ich dann mit dem FC Basel wieder eine neue Herausforderung, mit neuer Rolle.
Und was hat es mit der sich veränderten Motivation auf sich?
Der Unterschied besteht für mich darin, wozu ich spiele. Mit 20 ging es mir bestimmt noch mehr um mich selbst und meine Karriere. Da hatte ich eine Vorstellung davon, was ich für mich erreichen will. Sich durchsetzen, zu einem grösseren Club ins Ausland wechseln, sich dort etablieren – derartige Dinge. Spielst du dann stark im Tor, aber deine Mannschaft verliert, dann ärgert dich die Niederlage auch – aber gleichzeitig denkst du, dass du eigentlich deine Leistung gebracht hast und das ein gutes Muster für deine weitere Karriere war. Derartige Gedanken habe ich nun schon seit einer Weile hinter mir. Inzwischen geht es mir einzig darum, mit meiner Mannschaft eine gute Zeit und Erfolg zu haben – und das ist Antrieb genug, um bestmögliche Leistung zu bringen.
Sie sind nun seit bald zweieinhalb Jahren beim FC Basel – ist es so gelaufen, wie Sie das erwartet haben?
Ich denke, dass Sie die Antwort darauf selbst geben können.
Nein. Ich weiss ja nicht, wovon Sie ausgegangen sind damals, wie Sie Erfolg mit dem FCB definieren. Da war immerhin auch eine Conference-League-Kampagne, die um ein Haar in den Final geführt hätte …
Ja, die gab es. Und gerade das Frühjahr mit den vielen K.-o.-Spielen war eine Zeit, die ich sehr genossen habe. Aber in der Liga war es damals schon schwierig. Und in der Folgesaison wurde es dann richtig schlimm. Da merkten ich und andere früh, dass wir in Sachen Intensität und Spirit nicht gut unterwegs sind, und wurden dann voll bestätigt. Nach dem 0:3 in Lausanne Ende Oktober 2023 hatte ich ehrlich Angst, dass wir absteigen könnten. Aber Sie haben recht: Man kann Erfolg unterschiedlich definieren. Oder muss das dann irgendwann vielleicht auch umdefinieren.

Nach der 0:3-Niederlage gegen Stade Lausanne-Ouchy am 1. Oktober 2023 hatte Marwin Hitz Angst vor dem Abstieg.
Foto: Peter Klaunzer (Keystone)
Wie meinen Sie das?
Damals im Oktober spielten wir wie ein Absteiger. Paare ich diese Erkenntnis mit dem Angstgefühl, das ich verspürte, dann glaube ich, dass es eine ziemliche Leistung war, sich als Mannschaft und Club aus diesem Strudel zu ziehen und die Klasse vorzeitig zu halten. Aber dennoch: Bisher habe ich mit dem FCB nicht erreicht, was ich mir bei meinem Wechsel erhofft hatte.
Im August entfachten Mannschaft und Club eine ziemliche Euphorie. Es gab drei Siege in Folge mit zum Teil tollem Fussball, mit Shaqiri wurde ein Star nach Hause geholt. Anfang Oktober ist diese Euphorie verflogen und fürchten schon einige, es könnte abermals so schwierig werden wie in der Vorsaison. Wie nehmen Sie die Mannschaft aktuell wahr?
Der August war wirklich toll und tat der Mannschaft sowie dem Club gut. Die vier Spiele danach waren es dann nicht. Aber mein Gefühl ist viel besser als vor einem Jahr. Und das, obwohl ich zu meinem Leidwesen eher dazu neige, mir Sorgen zu machen, anstatt optimistisch durchs Leben zu gehen. Wissen Sie: Die tägliche Arbeit und Stimmung ist nicht mit damals zu vergleichen. Und ich finde, wir spielten selbst zuletzt in vielen Bereichen besser als noch im vergangenen Frühjahr, wo wir ja unsere Punkte holten. Was Ende August allerdings abhandenkam und wir wieder finden müssen, ist unser Spiel auf den letzten 30 Metern. Wir waren vor dem gegnerischen Tor zu wenig gefährlich.
Die Statik der Offensive hat sich mit Thierno Barrys Abgang und Xherdan Shaqiris Ankunft verändert. Hinzu kamen noch drei späte Neuzugänge, die sich auch erst finden müssen. Ist damit alles erklärt?
Das wäre mir viel zu einfach. Sicher ist, dass wir mit Barry einen Stürmer verloren haben, der uns enorm viele Varianten im Spiel brachte. Er ist schnell, er kann dribbeln, er ist gross und stark im Kopfballspiel – und er kann meist auch sehr gut den Ball halten. Zudem hatte er seit Februar einen Riesenlauf. Nur: Dass so ein Spieler Angebote erhält, bei denen er und der Club nicht Nein sagen können, ist dann die logische Konsequenz dessen, was er als junger Fussballer mitbringt und gezeigt hat. Aber: Ich finde alle Spieler, die gekommen sind, qualitativ und charakterlich sehr gut. Und wir haben mit Shaqiri, Ajeti und all den anderen aktuell sicher sehr viel Offensivqualität im Kader. Nun müssen wir diese einfach wieder so mixen, dass wir es auch auf dem Rasen umsetzen.
Am besten gleich ab Sonntag, wenn es gegen YB geht …
Ja. Das ist natürlich ein besonderer Gegner, der sich gerade in einer speziellen, ungewohnten Situation befindet. Da gilt es, dagegenzuhalten. Gut ist sicher, dass wir YB Anfang Jahr erstmals seit langer Zeit wieder besiegen konnten. Für den, der gewinnt, wird die Länderspielpause angenehmer sein.
Eine Länderspielpause bringt auch Gelegenheit, um Gespräche über eine Vertragsverlängerung zu führen. Darf man Ihnen schon bald dazu gratulieren?
Nein, dafür ist es noch viel zu früh.

Nach den Aussagen Daniel Stuckis ist Marwin Hitz im Tor der Basler gefestigter als auch schon.
Foto: Georgios Kefalas (Keystone)
Aber die Vorzeichen sind andere als auch schon: Nachdem Clubpräsident David Degen sich im Frühjahr in einem Podcast den Fauxpas geleistet und davon gesprochen hatte, dass die Idee sei, dass Sie in Ihrem dritten Vertragsjahr mithälfen, eine neue, jüngere Nummer 1 aufzubauen, wischte der neue Sportdirektor Daniel Stucki dies vom Tisch, bestätigte erst Ihren Status und stellte schliesslich nach Transferschluss die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung in den Raum. Wie gut hat das getan?
Zu der Episode mit David Degen habe ich mich ja schon geäussert, und ich kann mich nur wiederholen: Es war nicht ideal, wurde aber im Anschluss besprochen, und es gibt absolut kein Problem zwischen uns. Klar ist darüber hinaus natürlich, dass man als Spieler lieber Sätze von oben hört wie diese, die Daniel Stucki geäussert hat.
Wollen Sie denn auch mit 38 noch im Tor des FC Basel stehen?
Das ist eine Frage, die ich jetzt nicht beantworten kann. Was ich weiss: Aktuell bin ich sehr zufrieden damit, wie ich mich hier fühle. Es stimmt im Kopf, die Fitness ist gut, es macht Spass im Training – und die Goalietrainings selbst sind bei Gabriel Wüthrich ohnehin super. Aber es ist erst Oktober. Der Club hat bis im Winter vielleicht andere Pläne und eine klare Vorstellung von der Zukunft auf dieser Position. Gleichzeitig geht es auch um mich und um mein Umfeld, wissend, dass ich nicht jünger werde und es vieles gibt, dass mich interessiert und ich in meinem Leben noch machen möchte.
Also ist es doch so, dass die Karriere im Sommer endet?
Wie gesagt: Ich kenne die Antwort nicht. Aber es gibt zum Beispiel klare Abmachungen mit meiner Frau, die ich hier nicht weiter ausführe. Und es gibt klare Vorstellungen meinerseits: Ich möchte mich mit guten Leistungen in eine Situation bringen, in der ich selber entscheiden kann, wann Schluss ist. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Damit ich weitermache, müssen alle relevanten Parteien das auch unbedingt wollen.
Sie haben eine eigene Immobilienfirma. Wann auch immer die Karriere endet: Liegt darin Ihre Zukunft?
Das ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Bisher betreibe ich meine GmbH einfach als Hobby in der Freizeit, sodass es den Fussballberuf nicht tangiert. Ich habe mich lange schwer damit getan, das öffentlich zu machen. Aber eigentlich finde ich es nicht gut, Geheimnisse zu haben, und kann nun problemlos darüber reden.
Dann erzählen Sie, wie Sie dazu kamen.
Gefühlt habe ich mich schon immer für Immobilien interessiert. Aufgrund meiner Sparsamkeit – die meine Frau dazu verleitet, mich als geizig zu bezeichnen – konnten wir uns schon früh ein Mehrfamilienhaus kaufen. Zudem erwarben wir dann in Augsburg eine Wohnung, von der mir viele abrieten – und als wir diese dann wieder verkauften, erwies sie sich als das vielleicht beste Geschäft, das ich bis heute mit einer Immobilie gemacht habe. Von da an ging das weiter. Gemeinsam mit einem Architekten habe ich jetzt gerade ein Projekt mit zwei mal drei Reihenhäusern abgeschlossen. Geizig bin ich eigentlich höchstens mit mir selbst – als sparsam und wohlüberlegt würde ich mich hingegen schon bezeichnen.
Was sind die Alternativen zum Immobiliengeschäft?
Ich habe mich immer querbeet für vieles interessiert. Früher las ich in meiner Freizeit regelmässig Biografien. Mit meiner Frau habe ich einen Tanzkurs absolviert, wobei ich derart scheiterte, dass ich das weiterhin auf der Liste habe. (lacht) Italienisch will ich auch schon lange lernen. Meine Frau hat nun an unserem Wohnort im Thurgau eine Kita eröffnet, die zu tun gibt. Ich arbeite wahnsinnig gerne im Garten. Und ich habe mich auch schon mit dem Gedanken getragen, als Quereinsteiger in den Lehrerberuf zu gehen. Was ich sicher weiss, ist nur dies: Wenn die Fussballkarriere endet, werde ich zunächst Abstand davon gewinnen. Drei Monate, sechs Monate – wir werden es sehen. Einfach, um herauszufinden, ob mir der Fussball fehlt. Ich will da viel Zeit mit der Familie, unseren drei Kindern verbringen.
Also wäre auch eine Weiterbeschäftigung im Fussball nicht ausgeschlossen?
Sag niemals nie. Das Beraterbusiness empfinde ich zum Beispiel als interessant.
Und warum wollen Sie Italienisch lernen?
Ich mag einfach Land und Leute. Die Lebensweise dort, die Mentalität – diese Dinge sagen mir sehr zu. Es war eigentlich auch immer ein Traum von mir als Fussballer, einmal bei einem Club in Italien zu spielen.
Also wenn jetzt im Winter ein Club aus der Serie B käme, um Sie als Nummer 1 zu verpflichten …
… oder aus der Serie A …
… oder aus der Serie A. Was wäre dann?
Dann müsste man das anschauen und würde ich mir bestimmt mehr Gedanken machen, wie wenn dasselbe aus der Bundesliga käme. Das habe ich hinter mir, da steht auf meiner Liste ein Häkchen dahinter.
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