
Timm Klose im Karriere-Interview: «Weil ich oft voll in Probleme reingelaufen bin, habe ich viel gelernt»
Dieser Artikel wurde von BZ publiziert.
Rückblick nach Rücktritt
Rückblick nach Rücktritt
Timm Klose im Karriere-Interview: «Weil ich oft voll in Probleme reingelaufen bin, habe ich viel gelernt»
Die Basler Timm Klose hat mit 36 Jahren seine Profi-Laufbahn beendet. Im Rückblick-Interview spricht er über seine wilde Jugend, Ängste in Nürnberg, tolle Mit- und Gegenspieler, die Premier League und seine Vermittlerrolle beim FC Basel.
Exklusiv für Abonnenten
Sie sagten, Sie hätten Angst vor dem Karriereende. Wie fühlt sich das Fussball-Rentnertum jetzt an?
Timm Klose: Gut. Ich hatte genug Zeit, um mich darauf vorzubereiten.
Der Übergang vom Spieler zum Trainer war in der U21 des FC Basel fliessend.
Genau. Und 36 ist doch ein schönes Alter, um zu sagen: «Jetzt ist genug und Zeit für etwas Neues.»
Sie haben den Trainerschein und einen Job beim FCB als Defensiv-Koordinator und Talentmanager und arbeiten dazu auch als TV-Experte. Wie sieht Plan A für das Leben nach dem Profifussball aus?
Den gibt es so noch nicht. Ich habe auch mit Freunden ein Biotech-Unternehmen gegründet, aber momentan macht mir die Arbeit mit jungen Fussballern grossen Spass. Ich bin drei Tage beim FCB und habe nebenbei auch noch Zeit für die anderen Dinge wie zum Beispiel die Uefa-Pro-Trainerlizenz.
Hatten Sie schon Zeit, auf Ihre lange Karriere zurückzublicken?
Nicht wirklich. Aber ich hätte als OB-Junior damals nie gedacht, dass ich in der Bundesliga, Premier League und Nationalmannschaft spielen werde. Aber ich habe einen inneren Biss entwickelt, den nicht viele haben. Von meinem familiären Hintergrund her wäre es nicht notwendig gewesen, Fussballer zu werden, um jemanden finanziell zu unterstützen. Dass ich dennoch diesen Weg gegen alle Widerstände gegangen bin, macht mich stolz.
Sie sprachen während Ihrer Karriere mehrfach über Ihre damaligen Alkohol- und Rauch-Eskapaden, Konflikte mit dem Gesetz und den Rausschmiss aus der Schule. Wissen Sie heute, warum Sie ein so schwieriger Teenager waren?
Ich glaube nicht, dass ich mich da von anderen Teenagern so gross unterscheide. Aber ich habe irgendwann entschieden, dass ich darüber reden möchte, um anderen, die in ähnlichen Situationen sind, zu helfen und um mir selber den Druck zu nehmen. Viele andere schweigen und irgendwann explodiert es dann. Tiger Woods oder auch Robert Enke sind da Beispiele, die mir gezeigt haben, dass es nicht gut ist, zu lange über seine Gefühle zu schweigen. Aber zurück zur Schule. Das war damals einfach nicht das richtige Setting für einen Jugendlichen wie mich.
Sie langweilten sich und machten Seich.
Genau. Als Vater mache ich mir heute selber viele Gedanken zu schulischen Themen. Heute bekommen die Kinder oft eine ADHS-Diagnose und werden dann mit Pillen ruhiggestellt. Das ist für mich auch nicht die richtige Lösung. Ich habe in meiner Jugend viel gelernt, weil ich oft voll in die Probleme reingelaufen bin. Und ich muss auch meinen Eltern ein Kompliment machen, denn sie waren im richtigen Moment streng und im richtigen Moment haben sie mich machen lassen.
Sie verliessen zwar – nach Ihren Erzählungen demonstrativ mit Zigi im Mund – die U16 des FCB, kehrten dann aber zur U21 zurück und wurden Profi. Gab es da einen Schlüsselmoment, der Sie zurück auf die richtige Bahn geführt hat?
Ich hatte viele gute Gespräche. Mit meinem Vater zum Beispiel. Und auf den Fussball bezogen mit den damaligen FCB-Nachwuchsverantwortlichen Patrick Rahmen, Carlos Bernegger und Peter Knäbel. Die zeigten mir ehrlich und lösungsorientiert auf, was möglich wäre und fragten, ob ich das wirklich alles wegwerfen will.
Sie bissen sich durch und wurden von Christian Gross belohnt.
Er zog mich in die erste Mannschaft hoch, ich trainierte mit und war auch an Matchtagen beim Team. Doch dann wurde er durch Thorsten Fink ersetzt. Vor der Saison 2009/10 waren wir sechs Innenverteidiger und Fink sagte mir, ich sei die Nummer 5. Da war für mich klar, dass ich woanders den Durchbruch schaffen muss.
In Thun in der Challenge League unter Murat Yakin.
Der Wechsel war am Anfang hart, aber schlussendlich das Beste für meine Karriere. Muri war natürlich auch als Mentor sehr wichtig. Wir hatten viele gute Gespräche.
Timm Klose spielte in Thun auch gegen seinen FC Basel und Stürmer Alex Frei.
In denen er Ihnen gesagt hat, dass Sie weniger in den Ausgang gehen sollen?
Weil er das so gut vorgelebt hat? (Lacht.) Nein, eher weil wir beide ähnliche Spielertypen waren und er mir viele Tipps für mein Spiel geben konnte.
Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Profispiel, ein 5:3 gegen Yverdon?
Tatsächlich nicht. Aber an das Saisonfinale, als wir erst den Aufstiegskonkurrenten Lugano 1:0 besiegten und überholten und dann durch ein 6:2 in Gossau aufstiegen. Auch an das erste Super-League-Auswärtsspiel gegen Xamax erinnere ich mich noch. Nick Proschwitz hat damals nach 0:2-Rückstand ein Riesentor zum 3:2 geschossen.
Es gab auch ein verrücktes Cupspiel gegen Xamax. Sie trafen in der 120. Minute zum 1:1 und verloren dann im Elfmeterschiessen.
Das Verrückteste an dieser Geschichte war, dass wir Spieler vor dem Match noch den Platz vom Schnee befreien mussten. Sonst wäre im Lachenstadion kein Fussball möglich gewesen. Das Spiel selber war dann aber schrecklich.
Timm Klose feiert mit Sascha Stulz, Milaim Rama und Marco Aratore den Gewinn der Challenge League.
War es für Sie klar, dass Sie nach zwei Jahren in Thun und dem souverän geschafften Klassenerhalt in der Super League im Sommer 2011 ins Ausland wollten?
Nicht unbedingt. Es gab auch Kontakt mit dem FCB und mit YB. Eigentlich wollte ich erst nach der U21-EM entscheiden, wohin ich wechsle. Doch dann kam Nürnberg, überzeugte mich und ich unterschrieb schon vorher. Ich hatte in Deutschland auch andere Angebote, von Gladbach zum Beispiel. Doch dort wäre ich als Ergänzungsspieler vorgesehen gewesen. In Nürnberg hatte ich dann Schwein.
Wieso?
Erst spielten wir mit der Schweiz eine super EM und verloren erst im Final gegen Spanien. Und als ich dann in Nürnberg ankam, verletzten sich im Trainingslager die Innenverteidiger Per Nilsson und Dominic Maroh und ich durfte von Beginn an spielen. Und zumindest am Anfang hat das gut funktioniert.
Doch es folgte eine schwierige Zeit. Sie wurden von vielen Fans zum Hauptschuldigen für eine Niederlagenserie, erhielten Morddrohungen, Hassnachrichten und wurden von den eigenen Fans ausgepfiffen. Bei einem TV-Interview nach einem 1:2 gegen Freiburg weinten Sie sogar.
Das hat mich damals echt fertig gemacht. Ich verstand die Welt nicht mehr und Trainer Dieter Hecking kam kurz darauf zu mir und sagte: «Ich halte eigentlich viel von dir, aber ich muss dich schützen, indem ich dich aus dem Team nehme.» In der Folge habe mich dann verschanzt. Ich habe nur noch trainiert und gegamt.
Gegamt?
Nachdem ich das mit dem Alkohol und den Zigaretten in der Jugend zum Glück schon ausprobiert hatte und dann nicht mehr als Problemlösung sah, wurde Gamen zum Ventil, um mit meinen Problemen, dem Hass im Internet, den Pfiffen und der Ersatzspielerrolle klarzukommen. Als Innenverteidiger ist die Chance klein, dass du eingewechselt wirst. Also zockte ich auch vor Spielen die Nächte durch. Ich habe es übertrieben, beinahe meine Beziehung zu meiner heutigen Frau aufs Spiel gesetzt und auch verhältnismässig viel Geld für irgendwelche Fifa-Karten und Coins ausgegeben. (Lacht.)
Timm Klose mit seinem Förderer Dieter Hecking. Der heutige Bochum-Coach war in Nürnberg und Wolfsburg Kloses Trainer.
Sie sassen ein halbes Jahr draussen. Dann kamen die Olympischen Spiele in London.
Eine verrückte Geschichte, denn Nürnberg wollte nicht, dass ich gehe und drohte, dass ich ohne Vorbereitung beim Klub weiterhin nicht spielen würde. Aber ich ging dennoch, denn Olympische Spiele zu erleben, ist eine einmalige Chance fürs Leben. Wir sind zwar in der Gruppenphase ausgeschieden, doch als ich nach Nürnberg zurückkam, war ich in Topform und erkämpfte mir den Stammplatz zurück.
Und wechselten nach der Saison nach Wolfsburg, wo Sie erneut auf Dieter Hecking trafen. Das kann kein Zufall sein.
War es nicht. Er ist ein super Typ. Ich war gemäss «Kicker» einer der besten fünf Innenverteidiger der Liga und Wolfsburg schien mir der nächste logische Schritt. Interessant ist auch, dass ich von den Nürnberg-Fans zum Abschied noch zum Spieler der Saison gewählt wurde. Erst hassen sie dich, dann lieben sie dich. Für mich war das toll zu sehen, dass ich mich aus dem Tief herauskämpfen konnte.
In Wolfsburg wurden Sie Vizemeister und gewannen den Pokal.
Das war Hammer. In Berlin 3:1 gegen Dortmund, ein tolles Erlebnis. Wir hatten ein tolles Team mit De Bruyne, Draxler oder Naldo. Leider ist diese Mannschaft dann auseinandergebrochen.
Am 30. Mai 2015 gewinnt Timm Klose mit Wolfsburg dank einem 3:1 im Final gegen Dortmund den DFB-Pokal.
Auch Sie verliessen Wolfsburg in Richtung Norwich. Premier League. Wie kam es dazu?
Ich hatte in diesem Sommer auch ein Angebot von Köln und hatte ein tolles Gespräch mit Sportchef Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger. Auch Betis Sevilla, West Brom, Hamburg und Shakhtar Donezk sind Klubs, wo ich in meiner Karriere hätte unterschreiben können. Aber am Ende wurde es Norwich, was im Nachhinein eine gute Entscheidung war. Auch wenn es ein ständiges Auf- und Ab war.
Zunächst ein Ab. Sie stiegen ab und wollten eigentlich nach einem Jahr schon wieder weg.
Genau, aber ich durfte nicht. Aber dann sagte ich mir, ich helfe jetzt, den Klub wieder hochzubringen. Das ist zwar nicht der einfachste Weg, aber auch eine coole Aufgabe.
In Norwich wurde Timm Klose von den Fans geschätzt.
Die sofort gelang.
Und nach dem neuerlichen Abstieg noch einmal. Am Ende war ich Captain und auch die Fans haben mich geschätzt. Norwich wurde zu unserem zweiten Zuhause. Insgesamt war ich dort sechs Jahre unter Vertrag, durfte sogar das House of Lords besuchen und mein Englisch stark verbessern.
Ein Jahr waren Sie aber an den FC Basel ausgeliehen.
Direkt nach dem Lockdown. Klar war es für mich eine Herzensangelegenheit, einmal für den FCB aufzulaufen und zu helfen. Auch aus familiären Gründen wollten wir zurück in die Schweiz.
Dort lief es allerdings fussballerisch nicht wie gewünscht.
Der Ursprungsplan war es, langfristig zu bleiben, um den Verein dahin zu bringen, wo er hingehört. Aber es war schon zu viel kaputt und ich habe mich in meiner Vermittlerrolle zerrieben.
Timm Klose und Trainer Ciriaco Sforza hatten in ihren wenigen Monaten beim FCB selten Erfolg.
Weil Sie sowohl zu den Fans als auch zum ungeliebten Präsidenten Bernhard Burgener eine gute Beziehung hatten.
Ich hoffte auf Dialog und sprach mit beiden Parteien. Ich wollte Feuer löschen. Aber es gab so viele Nebenschauplätze. Da war es schwierig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sportlich erfolgreich zu sein. Aber es war eine interessante Zeit, die mir viel darüber gezeigt hat, wie Vereine funktionieren.
Dann übernahm David Degen. Wann wussten Sie, dass er die Leihe nicht wie geplant verlängert?
Wir hatten schnell ein tolles Gespräch. Finanziell hätte ich problemlos Einbussen im Kauf genommen. Und ich war mir sicher, dass ich auch in einer Nebenrolle wie jetzt Taulant Xhaka zum Beispiel helfen kann. Aber Dave, den ich aus gemeinsamen Nati-Zeiten gut kenne und sehr schätze, sah das damals anders und das war dann auch okay für mich.
Weil Sie nach einer kurzen Phase ohne Verein in Bristol einen tollen Abschluss vom Profifussball hatten?
Ich wollte unbedingt noch ein Jahr mitnehmen. Auch Japan oder die USA hätten mich gereizt. Aber der englische Fussball war genau mein Ding. Bristol wollte, dass ich ein Probetraining mache. Ich sagte zu und sie sahen schnell, dass ich noch fit bin.
Timm Klose war in der zweiten englischen Liga bei Bristol Stammspieler.
Sie hatten aber auch Angebote aus der Schweiz.
Ja, aber das wäre in die Welschschweiz oder in Richtung verbotene Stadt gegangen. Das war vom Projekt her sicher interessant, aber als Basler hielt ich das nicht für den richtigen Schritt. Ich wusste nicht, ob mich die Fans in Zürich akzeptieren würden.
Nach einem Jahr Bristol kehrten Sie nach Basel zurück und spielten für die U21. Trinkt die heutige Jugend wie Sie damals gerne ein Sieger-Bier?
Nein, die trinken nur noch Wasser und sind professionell, fast schon zu professionell. (Lacht.) Der Nachwuchsfussball hat heute ein Problem: Jeder glaubt, es wie Lamine Yamal machen zu müssen und als Teenager bereits den Durchbruch zu schaffen. Dabei ist der eine absolute Ausnahme. Es fehlt bei den Spielern, Agenten oder Eltern die Geduld, welche junge Spieler aber nun mal brauchen.
Hat der FCB diese Geduld?
Ich glaube schon, aber in der Schweiz kommt erschwerend hinzu, dass die Vereine auf Spielerverkäufe angewiesen sind, weil aus dem TV-Pool nur wenig Geld kommt. Da kann ich es verstehen, wenn Vereine auf andere Modelle setzen und nicht konsequent auf den eigenen Nachwuchs.
In den letzten anderthalb Jahren war Timm Klose bei der U21 als erfahrene Säule und spielender Co-Trainer im Einsatz.
Zum Abschluss: Wer waren in all den Spielen Ihre besten Gegenspieler?
Neymar, Eden Hazard, Harry Kane, Raul, um nur einige Namen zu nennen. Ich musste auch sehen, wie Robert Lewandowski gegen uns fünf Tore in neun Minuten geschossen hat. Aber den besten Gegenspieler hatte ich im Training in Basel: Edon Zhegrova. Mit seinen Körpertäuschungen und seinem tiefen Körperschwerpunkt war es fast unmöglich, ihn vom Ball zu trennen. Ich bin gespannt, wohin sein Weg noch führt.
Bereuen Sie im Rückblick auf Ihre Karriere irgendetwas?
Nein. Oder doch: Dass ich mich vor wichtigen Turnieren regelmässig verletzt habe und darum keine einzige EM oder WM mit der Schweiz spielen konnte. 2014, 2016 und 2018 wäre ich sonst möglicherweise dabei gewesen. Marco Reus und ich könnten ein Buch darüber schreiben.
–>