Die aufregende Reise durch eine meisterliche Saison
Lange Zeit war das Ringen um Platz 1 in der Super League ein Schneckenrennen, in dem der FC Basel einer von sieben Spitzenreitern war. Als die Konkurrenz zum wiederholten Male patzte und der FCB sich in einen Rausch mit acht Siegen in Serie spielte, liess er sich den 21. Meistertitel nicht mehr nehmen. Die wichtigsten Etappen dieser Entwicklung.
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Die Startniederlage in Lausanne setzt einiges in Bewegung
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Ein Spiel ist die Saison alt, und schon müssen sich die Spieler des FC Basel (hier Nicolas Vouilloz stehend und Thierno Barry sitzend) gegenseitig trösten.
Bild: Claudio Thoma/Freshfocus
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Man wähnt sich im falschen Film: Keine zwei Umdrehungen hatte der Sekundenzeiger auf der Uhr vollendet, als der FCB im Startspiel in Lausanne bereits in Rückstand gerät. Und das nach fünf Wochen intensiver Vorbereitung unter einem neu zusammengestellten Staff für Cheftrainer Fabio Celestini samt jeder Menge Optimismus, der verbreitet wurde. Zur Pause hat der FCB zwei weitere billige Gegentore kassiert. Am Ende heisst es auf dem Kunstrasen des Stade de la Tuilière 3:2.
In der Offensivreihe des FCB hören die Spieler beim Startspiel noch auf Namen wie Thierno Barry (Doppeltorschütze, Wechsel im August zu Villarreal), Benjamin Kololli (seit Winter in Sion) und Roméo Beney (ausgeliehen in die Challenge League). Im Zentrum einer Dreierabwehrreihe steht noch Arnau Comas (auch ausgeliehen) und im zentralen Mittelfeld agiert Captain Fabian Frei.
Um den geht es dann viele Wochen lang, weil durchsickert, dass der FCB seinem Rekordspieler nahelegt, über das vorzeitige Ende seines Vertrags nachzudenken. Es ist der erste von drei Urgesteinen im Kader, der ins Rollen kommt. Zuerst wird Michael Lang in den Ruhestand verabschiedet, Fabian Frei wechselt am Ende der Transferperiode nach Winterthur und Taulant Xhaka, sportlich längst auf einem Abstellgleis parkiert, verkündet später im Februar das Karriereende zum Saisonschluss.
Die Startniederlage in Lausanne, aber auch die darauffolgende 1:2-Heimniederlage gegen Lugano, setzen beim FCB einiges in Bewegung, was die Zusammensetzung des Teams anbelangt. Dies nach einem vergleichsweise relativ ruhigen Transfersommer. Und im Hintergrund wird bereits an einem Paukenschlag gearbeitet: der Rückkehr eines Heilsbringers.
Ausrufezeichen in Runde 4: Das grandiose 6:0 in Genf
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Nach dem furiosen 6:0 über Servette Genf in deren Stadion ist die Mannschaft des FC Basel in Feierlaune.
Bild: Pascal Muller/Freshfocus
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Nur drei Wochen später traut man erneut seinen Augen kaum. Der FCB kontert im Stade de Genève Servette nach allen Regeln der Kunst aus. Das 6:0 ist der erste Sieg auf Genfer Boden seit 2013 und der höchste Sieg in der Liga seit einem 6:0 gegen Vaduz im Jahr 2016.
Die Schlagzeilen zu diesem Kantersieg tragen fast ausnahmslos Ausrufezeichen, und Celestini darf sich auf seinem Weg mit dem Team ein erstes Mal bestätigt fühlen. «Es ist fantastisch. Man sieht, dass sie Spass haben, zusammenzuspielen», sagt er über seine Offensive. Barry erzielt die Führung, macht eine Woche später im Cup beim 8:0 in Subingen noch einen Hattrick und wird gleich anschliessend für viele Millionen nach Spanien wegtransferiert. Bénie Traoré, Albian Ajeti (2), Marin Soticek und Kololli heissen die weiteren Torschützen in Genf – und rund um den FCB entsteht das Gefühl: So könnte es funktionieren!
Die Rückkehr von Xherdan Shaqiri elektrisiert – und setzt Kräfte frei
Der Messias winkt seinen Anhängern zu: Xherdan Shaqiri beim Fan-Empfang nach seiner Rückkehr am 19. August 2024.
Bild: Georgios Kefalas/Keystone
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Wann wurde ein Rückkehrer jemals mit einem Fan-Empfang auf dem Balkon der Geschäftsstelle präsentiert, zu dem auch noch Tausende von Anhängern pilgerten? Noch nie in der Geschichte des FC Basel. Alleine dies illustriert, welche Wellen die Heimkehr von Xherdan Shaqiri zu seinem Jugendklub auslöste. Am 16. August wurde verkündet, was seit Wochen im Hintergrund aufgegleist worden war: das Comeback des Zauberwürfels. Bereits bei der zweiten Partie der Saison, dem 1:2 gegen Lugano, weilt Shaqiri im Stadion, befindet vieles als nicht genügend, was die künftigen Kollegen fabrizieren, kommt aber auch zum Schluss: «Es gibt Potenzial in diesem Team. Ich komme zurück!»
Was sich nach der Verkündung der Rückkehr und dem Fan-Empfang entwickelt, darf man gut und gerne als Hype bezeichnen: Die Tickets für das erste Spiel gegen Yverdon – ein eher weniger elektrisierender Gegner – sind plötzlich heiss begehrt. 30’013 Zuschauende sitzen am 25. August beim Shaq-Comeback im Joggeli. Ausverkauft mit 36’000 Menschen ist der Klassiker gegen Zürich (0:2) am 21. September – mit Shaqiri erstmals in der Startelf. Auch in den folgenden Spielen ist der Zuschauerauflauf gross, der Trikot-Absatz reissend.
Der 1,69 Meter kleine Shaqiri schafft es, Grosses zu bewegen. Er bringt den Fussball-Glauben zurück nach Basel. Nicht nur, weil er wiederholt vom «Kübel» spricht, den er auf dem Barfi hochhalten will. Sondern auch, weil er dem punkto Selbstvertrauen angeknacksten FCB wieder eine Winnermentalität einimpft. Und nach vier Spielen der Angewöhnung ist er nicht nur Dreh- und Angelpunkt, sondern auf Anhieb das Herz dieser Mannschaft.
In extremis zum 2:1 über St.Gallen: Ein Sieg, mehr wert als drei Punkte
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Bei diesem Last-Minute-Winner von Kevin Carlos (irgendwo begraben unter den Mitspielern) sprintet sogar Goalie Marwin Hitz über das ganze Feld, um zu jubeln.
Bild: Marc Schumacher/Freshfocus
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Manchmal braucht es diese gewissen Spiele, diese speziellen Siege, um etwas ins Rollen zu bringen. Das 2:1 des FC Basel Ende Oktober über St.Gallen im Joggeli ist so eines. Die Basler kassieren mal wieder ein frühes Gegentor, und als es bereits danach aussieht, dass die 27’009 Zuschauenden – ja, der Shaqiri-Effekt ist noch immer spürbar – mit einem 1:1-Unentschieden leben müssen, sorgt Kevin Carlos in der 95. Minute und mit der letzten Aktion des Spiels für eine emotionale Eruption wie lange nicht mehr. Dieser Carlos, den der FCB Ende August als Barry-Ersatz geholt hat und sich eine Ablöse von rund drei Millionen Franken an Yverdon hat kosten lassen.
Der Lautstärkepegel auf den Rängen und die Intensität, mit der die Spieler feiern, verdeutlichen: Dieser Erfolg ist mehr wert als drei Punkte. Einerseits ist er die Bestätigung des Sieges über YB, den die Basler vor der Länderspielpause eingefahren haben. Andererseits rangiert der FCB mit den ersten Carlos-Toren für Rot-Blau in der zehnten Runde wieder unter den Top 6 und lässt sich anschliessend nicht mehr aus der Championship Group, dem erklärten Saisonziel, drängen. Aus diesem Sieg resultiert ein Flow mit vier Siegen aus fünf Partien, in denen die Basler 20 (!) Treffer erzielen. Das Last-Minute-Tor hat die Offensive endgültig wachgeküsst.
Die beispielgebende Willensleistung beim unterklassigen Carouge
Augen zu und durch: Drei Tore in vier Minuten reichen dem FC Basel für das Weiterkommen im Cup-Viertelfinal gegen Étoile Carouge.
Bild: Pascal Muller/Freshfocus
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Gut ist das nicht, was der FCB am 26. Februar im Viertelfinal des Schweizer Cups beim unterklassigen, aber erstaunlich schlau organisierten Étoile Carouge zeigt. Viel Knorz, wenig Ideen, kaum Spielfluss. Und doch steht am Ende ein 3:1-Sieg für die Basler und der Einzug in den Cup-Halbfinal. Dafür reichen vier effiziente Minuten mit drei Toren zwischen der 83. und der 87. Die Mühsal zuvor ist plötzlich egal. Oder wie man im Fussball so oft sagt: Wen interessiert in zwei Tagen noch, wie der Sieg zustande kam?
Der FCB beweist an jenem Ort, an dem er drei Jahre zuvor mit einer auf dem Papier stärkeren Mannschaft gegen einen damals eine Liga weiter unten agierenden Gegner blamabel im Cup-Achtelfinal gescheitert war, dass er auch mit schlechten Leistungen Siege erzwingen kann. Eine Eigenschaft, die Teams ausmacht, die um Titel spielen.
Nicht umsonst wählt Fabio Celestini Monate später in der Phase, als publik wird, dass seine Chefs eine Nachfolge für seine Person sondieren, das Beispiel Carouge, um zu betonen, wie stark der Zusammenhalt im Team, aber auch zwischen Mannschaft und Staff ist. «Sonst hätten wir in Carouge nicht gewonnen», sagt Celestini wiederholt.
Alles nichts ohne ihn: Der Unterschiedsspieler Xherdan Shaqiri
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Der Captain geht voran: Xherdan Shaqiri (links) beim 4:0 in Zürich, dem Moment am 12. April, an dem allen klar wird: Dieser FCB kann tatsächlich Meister werden. Mit Shaqiri jubeln hier Philip Otele, Leon Avdullahu, Dominik Schmid und Bénie Traoré.
Bild: Philipp Kresnik/Imago
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4:0 gewinnt der FCB den Klassiker in Zürich am 12. April mit zwei Shaqiri-Toren, darunter ein direkter Freistoss. Mit 13 Toren und 14 Assists in seinen 28 Partien ist Xherdan Shaqiri damit auch rein statistisch der beste Spieler der Liga. Keiner hat mehr Vorlagen gegeben, keiner öfters getroffen, als er.
Wie abhängig der FC Basel von seinem Ausnahmekönner ist, hat diese Zeitung bereits Anfang Februar aufgezeigt. Natürlich kann man die Erfolge des FCB nicht einzig und allein am linken Zauberfüsschen von Shaqiri messen. Aber es ist frappierend, wie sich die Leistung der gesamten Mannschaft der individuellen Darbietung Shaqiris anpasst. Lässt er nach, lassen alle nach. Gibt er Gas, hat das ganze Team eine andere Pace.
Zu erkennen ist das an den Siegesserien der Basler und der jeweiligen Beteiligung Shaqiris: Als die Basler im Oktober erstmals drei Siege aneinanderreihen, sammelt der 33-Jährige sechs Skorerpunkte. Bei der zweiten Serie von drei Siegen am Stück im November kommen fünf Shaqiri-Skorerpunkte zusammen.
Ende Januar/Anfang Februar sind es vier Skorerpunkte, die Shaqiri in drei aufeinanderfolgenden Siegen beiträgt. Und beim Höhenflug im April, bei dem der FCB erstmals seit 2019 (unter Marcel Koller) vier Siege aneinanderreihen kann, beträgt Shaqiris Beitrag sechs Skorerpunkte.
Seit Shaqiri wieder beim FCB ist, gab es nur drei Siege, zu denen er nichts beitrug: beim ersten Einsatz nach der Rückkehr gegen Yverdon, beim Last-Minute-Sieg über St.Gallen sowie beim 3:2 über Lausanne – dem ersten Spiel als Meister, bei dem Shaqiri nur von der Bank kommt. Ansonsten heisst es: kein Shaqiri-Skorerpunkt – maximal ein Remis für den FCB. «Watson» rechnet aus, wo der FCB ohne seinen Unterschiedsspieler nach 32 Runden stünde: mit 19 Punkten weniger (!) auf Rang 8. Dort also, wo die Basler die letzte Saison beendeten.
Wie im Rausch setzt der FCB die Serie fort und ist plötzlich Meisterkandidat Nummer 1
Sieg im Klassiker: Spieler und Fans feiern im Letzigrund einen wegweisenden Auswärtssieg.
Bild: Imago/Maximilian Gärtner
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War das dieses Spiel? Dieses eine, nachdem der FC Basel mit all seinen Beteiligten wusste: «Jetzt sind wir der Favorit auf den Meistertitel?» Gemessen am ausufernden Jubel, dem sich überraschend ausgiebig für einmal auch Trainer Fabio Celestini anschloss, sowie an den Aussagen nach dem Spiel (Xherdan Shaqiri: «Das war ein Statement!») kann die Antwort nur lauten: Ja.
Denn dieses 4:0 des FC Basel im Klassiker gegen den FC Zürich ist eine Demonstration an Wucht, Leidenschaft, Mentalität und vor allem: Glaube an die eigenen Stärken. Und weil Servette und Lugano nur remis spielen und die Young Boys in Luzern eine 0:5-Klatsche kassieren, wächst der Vorsprungs an der Tabellenspitze auf sechs Punkte.
Der Meisterexpress ist nicht mehr zu stoppen und den Cupfinal gibt es obendrauf
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In der Meisterschaft legt der FCB einen unaufhaltsamen Lauf hin und im Cupfinal steht er obendrein: Fabio Celestini geht nach dem Halbfinale gegen Lausanne vor der Muttenzkurve so aus sich heraus wie nie zuvor in Basel.
Bild: Marc Schumacher/Freshfocus
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Am Gründonnerstag danach gefragt, was für ihn die Knackpunkte auf dem Weg zum Meistertitel sind, muss Fabio Celestini nicht lange nachdenken: «Ich sehe da viele Momente, aber ich glaube, das erste Spiel nach der Winterpause in Lugano (damals Tabellenführer, einen Punkt vor Basel; Anm. d. Red.) hat mir gesagt: Wir sind nicht so weit entfernt. Wir haben zehn Punkte aus den ersten vier Spielen im neuen Jahr geholt, haben dann bei Servette zwar verloren, aber die erste Halbzeit in Genf hat mir gezeigt: Diese Mannschaft hat etwas Spezielles. Sie hat nicht nur Potenzial, sie kann mehr. Aber wir müssen Schritt für Schritt gehen, und das nicht zu schnell.»
Im Mai hat der Meisterexpress längst Fahrt aufgenommen. Auf acht Siege in Folge baut ein FCB im Spielrausch seine meisterliche Serie aus. Zusätzlich geschmückt mit dem Einzug in den 24. Cupfinal seiner Geschichte. Der wilde Halbfinal gegen ein starkes Lausanne endet mit einem 3:2 nach Verlängerung vor 33’071 Zuschauenden, die völlig aus dem Häuschen sind. Celestini feiert inbrünstig vor der Muttenzerkurve. Ein Erlebnis, das weitere Kräfte in einer entfesselten Mannschaft mobilisiert.
Eine Woche später, am 4. Mai, eröffnet der FCB daheim gegen Servette die fünfteilige Runde um die Meisterschaft. Es ist eine vorweggenommene Finalissima, die Genfer werden mit 5:1 überrollt und der Vorsprung beträgt nun, da auch YB (2:3 in Lausanne) patzt, neun Punkte plus eines horrend besseren Torverhältnisses. Spieler und Trainer müssen die ersten Gratulationen zum Meistertitel abwehren. «Wir nähern uns dem Ziel», meint Albian Ajeti, der mit zwei Treffern seine 183 Tage andauernde Durststrecke beendet.
Nach der verrücktesten Viertelstunde in Lugano wird der FCB auf dem Sofa Meister
Nach dem unglaublichen Spiel in Lugano ist die Meisterschaft dem FCB nicht mehr zu nehmen: Bénie Traoré knipst sich fürs Familienalbum mit Xherdan Shaqiri im Arm.
Bild: Marusca Rezzonico/Freshfocus
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Noch eine kleine Steigerung an Drama und Freudentaumel gefällig? 1500 FCB-Fans, wenn nicht mehr, haben sich am 10. Mai ins Tessin verschoben und erleben die verrückteste Viertelstunde der Saison. In Unterzahl schiesst der FCB nach der Pause vier Tore in zwölf Minuten gegen ein inferiores Lugano. 9 Minuten und 58 Sekunden verstreichen, während Shaqiri den schnellsten Auswärts-Hattrick der Super-League-Geschichte markiert inklusive eines Geniestreichs zum vorentscheidenden 1:3. Es sind seine Skorerpunkte 36 bis 38. Was für ein unvergleichliches Spektakel.
Nur Menschen mit höherer mathematischer Begabung können jetzt herleiten, wie der FCB noch eingeholt werden kann. Celestini steht in der Tessiner Nacht und sagt, während hinter ihm die Spieler schon völlig losgelöst mit den Fans feiern: «Viele Wochen lang habe ich gebremst, heute kann ich sagen, heute will ich es auch sagen: Wir haben die Arbeit gemacht, wir sind Meister. Jetzt will ich mit den Fans feiern.» Gesagt, getan.
Tags darauf passiert erneut Einmaliges: Der FCB wird auf dem Sofa Meister. Genauer trifft sich die Mannschaft – passenderweise in der Legend-Lounge – im Joggeli, um Servette gegen YB zu schauen. Um 18.21 Uhr ist die Geschichte durch. Weil Servette nicht gewinnt, ist der FC Basel zum 21. Mal Schweizer Meister. Danach gibt es kein Halten mehr. Auf dem Barfüsserplatz steigt die spontane Meisterfeier vor Abertausenden Anhängern. Der Rest ist rotblaue Trunkenheit.