Vielen Schiedsrichtern fehlt der Fussball-Sachverstand: Zudem ist es an der Zeit, einige Regeln anzupassen

Dieser Artikel wurde von BZ publiziert.


Analyse zur Schiri-Debatte

Vielen Schiedsrichtern fehlt der Fussball-Sachverstand: Zudem ist es an der Zeit, einige Regeln anzupassen

Strittige Entscheidungen der Schiedsrichter stehen in der Super League mal wieder im Fokus. Durch den VAR haben sich vor allem zwei Problemfelder ergeben, die dringend gelöst werden müssen. Sowohl die Unparteiischen als auch die Regelhüter sind gefragt.

Exklusiv für Abonnenten

Am Ursprung der jüngsten Diskussionen um die Schweizer Schiedsrichter steht diese rote Karte gegen Bénie Traoré im Spiel gegen St. Gallen. <!–>

Am Ursprung der jüngsten Diskussionen um die Schweizer Schiedsrichter steht diese rote Karte gegen Bénie Traoré im Spiel gegen St. Gallen.

Bild: Philipp Kresnik/Imago

–>

Albian Ajeti und Xherdan Shaqiri stehen in der ersten Reihe, als Schiedsrichter Lionel Tschudi am Sonntag im Kybunpark vom VAR zum Bildschirm gebeten wird. Die Basler Spieler sehen wie auch der Schiedsrichter die Szene von Bénie Traoré und Jordi Quintillà vor dem vermeintlichen 1:1. Für sie ist der Fall klar: Ball gespielt, der St. Galler kommt zu spät, kein Foul. Das Tor muss zählen.

Doch Tschudi gibt dem anschliessenden Schienbeintreffer eine höhere Gewichtung und entscheidet: kein Tor und Rot wegen grobem Foulspiel. Dass Traoré jetzt auch noch von der Liga für zwei Spiele gesperrt wurde, ist die Kirsche auf der Torte der Sanktionen. «Unglaublich. Bénie trifft den Ball, der andere kommt zu spät. Ein Riesen-Fehlentscheid. Wir müssen uns Gedanken machen, ob wir die besten Schiedsrichter haben», sagt Shaqiri.

Der Rückkehrer schlägt damit in die gleiche Kerbe wie Goalie Marwin Hitz, der nach der Krasniqi-Schwalbe-Xhaka-Rot-Eskalation gegen den FCZ im April 2024 Generalkritik übte («Wir brauchen Hilfe im Schweizer Fussball»). Beide Kritiker sind sich aus ihrer Zeit im Ausland andere Schiedsrichterleistungen gewohnt und stellen nach der Rückkehr in die Schweiz die Qualitätsfrage bei den lokalen Unparteiischen. Und tatsächlich haben einige Entscheidungen in den letzten Wochen und Monaten den Verdacht geschürt, dass es dem ein oder anderen Schiedsrichter an Fussballsachverstand mangelt.

Standbilder: Legt nun diese Keystone-Aufnahme (oben) ein rücksichtsloses und eine Verletzung in Kauf nehmendes Foul nahe, oder ist der Screenshot aus den bewegten SRF-Bildern (unten) aussagekräftiger? Der Basler Bénie Traoré und der St.Galler Jordi Quintillà in der viel diskutierten Szene vom 8. Dezember 2024 im Kybunpark.

Standbilder: Legt nun diese Keystone-Aufnahme (oben) ein rücksichtsloses und eine Verletzung in Kauf nehmendes Foul nahe, oder ist der Screenshot aus den bewegten SRF-Bildern (unten) aussagekräftiger? Der Basler Bénie Traoré und der St.Galler Jordi Quintillà in der viel diskutierten Szene vom 8. Dezember 2024 im Kybunpark.

Bild: Walter Bieri/Keystone

Doch das Problem liegt nicht nur bei den Schweizer Referees. Regeltechnisch mag der offenbar beratungsresistente Tschudi, der bereits im Januar 2024 als VAR mit dafür sorgte, dass Lukas Görtler gegen Lugano für eine ähnliche Aktion vom Platz gestellt wurde, nämlich sogar recht haben. Denn seit zwei Jahren sind die Schiedsrichter angehalten, Treffer mit der offenen Sohle auf den Knöchel oder die Beine mit einem Platzverweis härter zu ahnden. Und die Standbilder geben ihnen dabei zusätzliche Argumente. Denn durch die Einführung des VAR wurde es möglich, solche Treffer im Nachhinein zu detektieren und dementsprechend zu sanktionieren.

Die Schiedsrichter befinden sich in einer Zwickmühle. Lukas Fähndrich, der im Januar nach Ansicht der Bilder die rote Karte gegen Görtler zeigte, sagte im Anschluss: «Ich wusste in diesem Moment, dass das eine Entscheidung ist, die ich eigentlich nicht treffen will. Eine Entscheidung, die die Fussballwelt nicht versteht. Aber: Ich habe gemäss dem Reglement gehandelt.»

Der St.Galler Lukas Görtler sieht Rot für eine Flanke. Eine weitere Szene aus dem Kybunpark, beim Heimspiel gegen Lugano am 28. Januar 2024.

Quelle: Youtube

Klar, die Standbilder sehen übel aus. Doch alle, die selber einmal Fussball gespielt haben, wissen, dass solche Trefferbilder im Kampf um den Ball vorkommen. «Vielleicht ist die Regel oder die Sensibilität der Schiedsrichter falsch», sagt auch FCB-Trainer Fabio Celestini. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn durch die aktuelle Regelauslegung findet eine Entfremdung von dem Spiel statt.

Fussball ist ein Kontaktsport, Zweikämpfe gehören dazu, und solange nicht rücksichtslos oder absichtlich die Gesundheit des Gegenspielers riskiert wird, sollten Aktionen wie jene von Traoré nicht mit Rot geahndet werden. Gleiches gilt auch für die Fälle Leon Avdullahu (er trat Corsin Konietzke im Zweikampf unglücklich in die Hacke, welche dann umknickte und ebenfalls für ein unschönes Standbild sorgte) und Timothé Cognat (der beim Spiel Servette gegen Lugano vor einer Woche einer Grätsche von Milton Valenzuela per Hopser auswich und dann aus Versehen mit dem Fuss auf dessen Knie landete). Foul. Je nach Situation Gelb, und weiter geht’s.

Hier ist das oft zitierte Fingerspitzengefühl der Schiedsrichter gefragt. Ein Wort, das in Schiedsrichterkreisen zwar nicht gern gehört wird, weil diese die unterschiedlichen Fälle gerne mit einem klaren Urteil abwickeln. Doch am Ende unterscheidet sich der gute Referee vom schlechten auch an seinem Gefühl für die zu bewertende Szene.

Auch beim Handspiel ist Zurückhaltung gefragt

Ebenfalls nicht im Sinne des Fussballs wird weiterhin oft auch die Handspielregel ausgelegt. Zwar wurde es hier zumindest in der Super League etwas besser, als Schiedsrichterchef Daniel Wermelinger nach der Saison 2022/23 erkannte, dass man «zu detektivistisch» unterwegs gewesen war. Warum aber VAR Luca Cibelli vor einem Monat Johannes von Mandach beim Spiel Luzern gegen GC vor den Bildschirm rief, als GC-Verteidiger Dirk Abels der Ball aus kurzer Distanz eventuell an den Arm sprang, was am TV aber nicht ersichtlich war, ist noch heute ungeklärt.

Dabei wäre die Sache doch so einfach. Und eigentlich ist es auf Seite 114 des Regelbuchs des Schweizer Fussballverbands, welches praktisch die Übersetzung der international geltenden Regeln ist, auch gut beschrieben. Handspiel ist, wenn mit der Hand ein Tor erzielt wird, absichtlich die Hand zur Hilfe genommen wird oder die Körperfläche durch eine unnatürliche Haltung der Arme vergrössert wird. Zum Beispiel für Marc Cucurella im EM-Viertelfinal. Doch das ist eine andere Geschichte, die nach drei Monaten Bedenkzeit unterdessen ja auch von der Uefa selber als grober Schnitzer taxiert wurde.

Der Spanier Marc Cucurella verhindert in der Verlängerung mit seinem Arm das 2:1 für Deutschland. Geahndet wurde diese Szene zur Verwirrung vieler nicht. Erst im Oktober gab die Uefa den Fehler zu. <!–>

Der Spanier Marc Cucurella verhindert in der Verlängerung mit seinem Arm das 2:1 für Deutschland. Geahndet wurde diese Szene zur Verwirrung vieler nicht. Erst im Oktober gab die Uefa den Fehler zu.

Bild: Imago

–>

In einer idealen Welt gibt es für Flanken an den anliegenden Arm, Kopfbälle im Getümmel aus kurzer Distanz an abgespreizte Arme eines aufspringenden Gegenspielers oder auch für Torschüsse an den anliegenden Ellenbogen des sich abdrehenden Spielers keinen Elfmeter. Und es ist vor allem kein Fall für den VAR, der in solchen Situationen gerne übereifrig den Kollegen im Stadion verbessert.

Und wenn wir gerade schon dabei sind: Es gäbe da auch noch zwei weitere Regeln, welche den Fussball nachhaltig zu einem noch tolleren Spiel machen würden. Gelbe Karten oder eine fünfminütige Auszeit für theatralisches Umfallen und Liegenbleiben nach einem harmlosen Kontakt. Und das konsequente Umsetzen der Captains-only-Regel. Diese wurde an der EM erstmals angewendet, dann auch von der Super League übernommen.

Lionel Tschudi zeigt Xherdan Shaqiri, wo Jordi Quintillà getroffen wurde und warum er es für richtig erachtet, Bénie Traoré vom Platz gestellt zu haben.

Lionel Tschudi zeigt Xherdan Shaqiri, wo Jordi Quintillà getroffen wurde und warum er es für richtig erachtet, Bénie Traoré vom Platz gestellt zu haben.

Bild: Imago

<!–>

Doch nach gutem Start häufen sich unterdessen wieder die motzenden und lamentierenden Fussballer, die nach strittigen Szenen auch ohne Captainbinde lautstark auf den Schiedsrichter einreden. Shaqiri zum Beispiel, der zwar beim Platzverweis unterdessen die Captainbinde trug, aber auch schon in Halbzeit eins, als Dominik Schmid noch auf dem Platz stand, immer wieder mit aggressivem Gesichtsausdruck mit den Unparteiischen schimpfte.

–>

Powered by wpmegacache.com