
Eine Kollektivstrafe für den FCB und viele offene Fragen zum Umgang mit gewaltbereiten Fans
Dieser Artikel wurde von BZ publiziert.
Fanverhalten
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Eine Kollektivstrafe für den FCB und viele offene Fragen zum Umgang mit gewaltbereiten Fans
Der FC Basel muss am Ostermontag vor einer von der Kantonspolizei teilweise gesperrten Muttenzerkurve spielen. Dies, nachdem am Samstag nach der Partie FCZ – FCB Fans beider Klubs aufeinander losgingen. Den Entscheid der Behörden hält der FCB für verfassungswidrig und will dagegen juristisch vorgehen. Eine Übersicht über die Vorkommnisse und die Folgen.
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Im Rahmen einer nationalen Fan-Aktion zog die Muttenzerkurve am 3. Februar 2024 geschlossen in den Sektor G (Galerie) des St. Jakob-Park. Die Schweizer Fankurven stellten sich damals in einem friedlichen Protest symbolisch gegen die Entwicklung beim Thema der Kollektivstrafen.
Was ist in Zürich passiert?
Es ist gegen 23.30 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag, das Spiel FCZ – FCB seit ungefähr einer Stunde beendet und die Umgebung des Stadions Letzigrund quasi menschenleer. Auf der Kreuzung der Baslerstrasse mit der Hardgutstrasse (bei der Einfahrt ins Parkhaus des Letzigrunds) herrscht plötzliche Aufregung. «Sie kommen», ruft jemand hektisch, so Augenzeugen-Schilderungen gegenüber dieser Zeitung. Von der Hohlstrasse nähert sich ein Pulk von Menschen in roten und blauen Shirts, mit weissen Turnschuhen und vermummt mit Sturmmasken. In immer schnellerem Laufschritt steuern sie auf die Kreuzung zu. Dann kommt es zu einer Schlägerei, die kaum länger als eine Minute dauert. Ein paar wilde Schreie, dann trennen sich die Schläger bereits wieder.
Der rot-blaue Pulk rennt nun zurück Richtung Hohlstrasse, wo in diesem Moment von Altstetten her zwei Einsatzwagen der Zürcher Polizei stoppen. Polizisten in Vollmontur entsteigen in dem Moment, in dem der Pulk an ihnen vorbeisprintet. Eher hilflos sieht es aus, wie die Polizei den Flüchtenden Pfefferspray hinterhersprüht.
Der ganze Spuk macht den Eindruck einer verabredeten Prügelei, wie sie aus einschlägig beschriebenen Gewaltszenen zwischen klassischen Hooligans im Fussball bekannt sind.
Wie beschreiben die Behörden den Vorfall?
Die «Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden», die aus der KKJPD hervorging im Zuge der Einführung des sogenannten Kaskadenmodells, schreibt am Mittwoch von «einem organisierten Angriff der Basler Anhängerschaft», davon, dass «rund 50 vermummte FCB-Anhänger eine Gruppe von rund 30 Fans des FC Zürich» angegriffen hätten. Dabei stützt man sich auf «die Sichtung des Videomaterials». Offenbar, so sagen es Quellen, gibt es aufschlussreiches Material, auf welches sich die Behörden stützen.
Schwammig ist die Beurteilung, dass «die Fans des FC Zürich vom Angriff offensichtlich überrascht wurden». Die Augenzeugen-Beobachtungen lassen durchaus auch den Schluss zu, dass es sich um eine Verabredung auf der Kreuzung gehandelt hat. Was die Behörden unter «massive Gewaltangriffe» verstehen, ist ebenso unscharf. Sie schildern: «Mehrere Fans des FC Zürich gingen kurzzeitig zu Boden. Die Basler Angreifer traktierten auch die bereits am Boden liegenden Personen mit Faustschlägen und Fusstritten.»
Mit einer gewissen zynischen Nüchternheit könnte man zum Schluss kommen: Es sind Dinge passiert, die passieren, wenn sich Hooligans schlagen. Es ist bis dato nicht bekannt, ob Beteiligte an dieser Prügelei Verletzungen davongetragen haben.
Wie ist die Position der Liga?
Vorweg: Seit rund einem Jahr herrscht zwischen der Swiss Football League (SFL), in der die 22 Klubs der Super und Challenge League organisiert sind, und den Behörden, also der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), so etwas wie Sprachlosigkeit.
Bereits in der Vernehmlassung zum Kaskadenmodell, das bei bestimmten Vorkommnissen automatisch vordefinierte Massnahmen auslöst, bezogen die SFL und ihre Klubs eine kritische Position. Zusammengefasst: Das Kaskadenmodell sei nicht zielführend, einseitig und unverhältnismässig und somit abzulehnen. Auch weil Vorfälle bestraft werden können, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Spiel oder dem Stadion stehen. Am 14. März 2024 hiess es in einer Stellungnahme der SFL dazu weiter: «Besonders stossend ist dabei die Anwendung der Kollektivstrafen.» Stattdessen begrüsst die Liga die konsequente Einzeltäter-Verfolgung.
Als die KKJPD vor Jahresfrist den Schulterschluss mit der Liga suchte, als das Kaskadenmodell vorgestellt wurde, kam es zum Bruch, weil die SFL und die Klubs nach eingehender Diskussion ihre Ablehnung deutlich machten. Seither herrscht eine gewisse Eiszeit zwischen Behörden und Liga. In der Praxis sieht das so aus: Bei den Calls, die nach Vorfällen stattfinden, wird der Liga-Vertreter nach Schilderung des Vorgangs hinauskomplimentiert. Zu melden haben auch die betroffenen Klubs offenbar nicht viel. In den vorhergehenden Fällen seit Inkrafttreten des Kaskadenmodells (Basel ist der dritte Fall auf Stufe 3 von 4) hielten es die Behörden auch nicht für nötig, der Liga die schlussendliche Verfügung zukommen zu lassen. Die landete nur über den Umweg der beteiligten Klubs bei der SFL. Just am Mittwoch war die Liga erstmals mit im Verteiler.
Dezidiert wie nie zuvor hat sich Claudius Schäfer, der CEO der SFL, just Ende vergangener Woche geäussert im Zuge eines anderen Reizthemas, den personalisierten Tickets. Schäfer, seit kurzem auch Präsident der European Leagues, dem Zusammenschluss europäischer Fussballligen und profunder Kenner der Gewaltthematik im Fussball, erklärte gegenüber dieser Zeitung das Kaskadenmodell für «gescheitert». Auf den Versuch der Liga, den Dialog mit den Behörden aufrechtzuerhalten, wird von der KKJPD seit dem Eklat vor einem Jahr nicht mehr eingegangen.
Was bedeutet die Sektoren-Sperre am Montag genau?
Im «Kaskadenmodell» der Bewilligungsbehörden kommt im vorliegenden Fall Stufe 3 zur Anwendung. Darunter fallen zum einen der «Einsatz von Waffen, Pyrotechnik oder Gegenständen gegen Personen» sowie «Gewalt gegen Personen mit Verletzungsfolgen». Wie erwähnt gibt es keine Kenntnis von Verletzten bei der Schlägerei am Samstag. Als Sanktion ist vorgesehen, dass eine «zeitnahe (innerhalb der nächsten ein bis zwei Spiele) Schliessung der Fankurve des fehlbaren Klubs» erfolgt. Das ist mit der Schliessung der Muttenzerkurve für den Ostermontag-Match gegen Yverdon geschehen. Allerdings nur für den unteren Teil der Kurve, den Sektor D Parkett. Die Plätze auf dem Balkon sind nicht betroffen.
Ausserdem ist ein sofortiger Stopp des Ticketverkaufs damit verbunden, weil verhindert werden soll, dass Fans auf andere Bereiche des Stadions ausweichen. Weil seit Montag bereits eine drohende Bestrafung des FC Basel die Runde machte und weil zwischen der Veröffentlichung der Massnahmen durch die Bewilligungsbehörden am Mittwochmorgen und der Information des Klubs eine gewisse Zeit verstrich, hat das zur Folge, dass sich betroffene Fans ganz offensichtlich Tickets für andere Sektoren besorgt haben.
Am Mittwochvormittag konnte man auf dem Online-Ticketportal des FCB quasi zuschauen, wie die Tickets im Sektor B weggingen wie warme Weggli. Gegen 11.15 Uhr war auch noch das letzte Billett – Reihe 15, Platz 410 – für 38.50 Franken verkauft. Die Muttenzerkurve scheint also in die gegenüberliegende Gellertkurve umzuziehen.
Was dort oder wo auch immer auch untersagt ist laut Kaskadenmodell, ist eine Form der freien Meinungsäusserung: koordinierte Fanaktionen.
Was sagt der FCB?
Der Klub vermittelt in einem dezidierten Statement, welches er am Mittag teilt, sein absolutes Unverständnis über den Entscheid. «Die nun von den Behörden verhängte Kollektivstrafe der Teil-Sektorsperre lehnt der FCB – wie das Kaskadenmodell als Ganzes – aus rechtlicher, ethischer und moralischer Sicht entschieden ab.»
Dass in Basel – obschon der Kanton dem erweiterten Hooligan-Konkordat «mit gutem Grund nicht beigetreten ist» (Zitat FCB) – trotzdem die Massnahme aus dem Kaskadenmodell greife, sei umso erstaunlicher, so der FCB weiter. Das Kaskadenmodell ist aus Sicht des Klubs «nicht akzeptabel, weil es auf pauschale Kriminalisierung von Fussballfans, Kausalhaftung sowie Kollektivstrafen setzt».
Diese Kollektivstrafe, so der FCB, sei gar «verfassungswidrig». Die Sanktion, erläutert der Klub, «stellt einen schweren Eingriff in die Grundrechte, insbesondere in die Wirtschaftsfreiheit des FC Basel 1893 dar». Dies, weil er durch den Stopp des Ticketverkaufs erhebliche finanzielle Einbussen in Kauf nehmen muss. Aufgrund all dieser Punkte wird der Klub «entschlossen juristisch dagegen vorgehen». In der Tat steht der Entscheid auf rechtlich tönernen Füssen, ist der Kanton Basel-Stadt doch wie erwähnt nicht Teil des Konkordats, entsprechend dürfte aus Sicht des Klubs das Kaskadenmodell gar nicht angewendet werden.
Dass ausserdem gleich Stufe 3 angewendet wird, stellt der FCB ebenfalls infrage. Dies, weil Stufe 3 wie erwähnt nach «Gewalt gegen Personen mit Verletzungsfolgen» in Kraft tritt. Der FCB hat aber, und dies betont er, ebenfalls keine Kenntnis von Verletzten.
Der Klub hat nun zehn Tage Zeit, Rekurs einzulegen. Aber: Unter Punkt 10 der Verfügung, welche dem FCB erst am Mittag zugestellt wurde, nachdem der Klub aus den Medien über den definitiven Entscheid erfahren hat, steht: «Einem allfälligen Rekurs gegen Teile dieser Verfügung (zum Beispiel Auflagen in der Bewilligung) wird, gestützt auf § 47 Abs. 1 OG, die aufschiebende Wirkung entzogen.»
Ausserdem darf davon ausgegangen werden, dass der FCB die Sperre ohnehin lieber gegen Yverdon kassiert als in den Spielen der Meisterrunde.
Wie geht es weiter?
Der FCB ist wie erwähnt nun fünf Spiele (am Montag plus die folgenden vier Heimspiele) auf Bewährung. Sollte in diesen Partien etwas passieren, tritt Stufe 4 des Kaskadenmodells in Kraft. Die Konsequenzen hierbei wären ein Geisterspiel plus fünf weitere Partien auf Bewährung. Zuletzt standen die Basler bis zum Ende des Kalenderjahres 2024 und nach den Vorfällen in Sion Ende August, als FCB-Fans ein Sion-Fanlokal angriffen, ebenfalls auf Bewährung. Ausserdem hatte dies zur Folge, dass beim nächsten FCB-Auswärtsspiel in Sion keine Auswärtsfans zugelassen sind.